... und wie sich das vermeiden lässt

Als Experte für die Implementation von KI-Systemen sehe ich immer wieder dieselben Muster, an denen vielversprechende KI-Projekte letztendlich scheitern. Die gute Nachricht: Mit der richtigen Herangehensweise lassen sich die meisten Konflikte vermeiden. Dieser Artikel zeigt die häufigsten Stolpersteine und effektive Lösungsstrategien.
Die sechs häufigsten Gründe warum KI-Projekte am Betriebsrat scheitern:
1. Mangelnde Transparenz bei KI-Systemen
Der klassische Auslöser für das Scheitern von KI-Projekten: Der Betriebsrat erhält keine ausreichenden Informationen über die Funktionsweise des Systems. Dabei ist Transparenz nicht nur "nice to have", sondern rechtlich geboten - die DSGVO gibt Beschäftigten das Recht, nicht ausschließlich automatisierten Entscheidungen unterworfen zu werden.
Transparenz bedeutet dabei deutlich mehr als das bloße Bereitstellen technischer Dokumentationen. Erforderlich ist ein mehrstufiger Ansatz:
Standardisierte Systemdokumentation
Erstellen Sie für jedes KI-System einen Steckbrief mit:
Konkreten Einsatzzwecken und Zielen
Verwendeten Datenquellen und Verarbeitungslogik
Möglichen Auswirkungen auf Beschäftigte
Maßnahmen zur Qualitätssicherung
Qualifizierung der Betriebsräte
Gerade für nicht IT-affine Betriebsratsmitglieder sind mehrtägige Schulungen unerlässlich, um:
Ein fundiertes Verständnis der KI-Funktionsweise zu entwickeln
Risiken und Chancen für die Beschäftigten einschätzen zu können
Die eigenen Mitbestimmungsrechte effektiv wahrnehmen zu können
Arbeitgeber müssen hier die notwendigen Schulungskosten einplanen. Dies ist keine freiwillige Leistung, sondern durch § 37 Abs. 6 BetrVG gesetzlich vorgeschrieben.
Qualifizierungsangebote der Systemanbieter
KI-Anbieter sind gefordert, neben dem reinen Vertrieb auch:
Spezifische Schulungsangebote für Anwender zu entwickeln
Formate für Betriebsräte als Interessenvertreter bereitzustellen
Eine nachhaltige Qualifizierungsinfrastruktur aufzubauen
2. Zu späte Einbindung der Mitbestimmung
Ein weiterer klassischer Fehler: Der Betriebsrat wird erst informiert, wenn wichtige Systementscheidungen bereits gefallen sind. Das führt fast zwangsläufig zu Konflikten.
Der Betriebsrat hat bei KI-Systemen umfassende Mitbestimmungsrechte - von der Planung über die Einführung bis zum laufenden Betrieb. Diese ergeben sich unter anderem aus:
§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (technische Überwachungseinrichtungen)
§ 94 BetrVG (Personalfragebögen, Beurteilungsgrundsätze)
§ 95 BetrVG (Auswahlrichtlinien)
Mein Praxistipp: Binden Sie den Betriebsrat bereits in der Konzeptionsphase ein. Ein bewährtes Format sind regelmäßige Jour fixes zwischen IT, HR und Betriebsrat speziell zum Thema KI-Einführung.
3. Endlose Definitionsdebatten statt Risikoanalyse
Ein häufiger Fallstrick sind endlose Debatten darüber, was überhaupt unter "KI" zu verstehen ist. Diese Begriffsdebatten sind meist Stellvertreterdiskussionen: Oft versucht die Arbeitgeberseite durch eine möglichst enge Definition von "KI" die Mitbestimmungspflicht zu umgehen. Umgekehrt tendieren Betriebsräte manchmal dazu, jede Form der Automatisierung unter KI zu subsumieren.
Ein zukunftssicherer Ansatz orientiert sich an der kommenden EU-KI-Verordnung (AI Act) mit ihrer vierstufigen Risikokategorisierung:
1. Unzulässige KI-Systeme
Systeme mit inakzeptablem Risiko für Grundrechte
Im betrieblichen Kontext z.B. manipulative KI zur Beeinflussung von Mitarbeitern
Diese Systeme sind grundsätzlich zu verbieten
2. Hochrisiko-Systeme
Erhebliche Risiken für Gesundheit, Sicherheit oder Grundrechte
Im Betrieb besonders relevant: KI-Systeme für Personalauswahl, Beförderungen, Leistungsbewertung
Erfordern strenge Kontrollen und umfassende Mitbestimmung
3. Systeme mit begrenztem Risiko
Z.B. Chatbots, Assistenzsysteme, generative KI
Hauptfokus auf Transparenz und Information der Beschäftigten
Mitbestimmung vor allem bei Einführung und Rahmengestaltung
4. Systeme mit minimalem Risiko
Z.B. KI in Spam-Filtern oder einfachen Automatisierungen
Keine spezifischen Regulierungsvorgaben
Basisinformation der Mitbestimmungsgremien ausreichend
Diese Kategorisierung bietet zwei wesentliche Vorteile:
Sie schafft Rechtssicherheit für die Zeit nach Inkrafttreten der EU-Verordnung
Sie ermöglicht differenzierte Mitbestimmungsprozesse je nach Risikoniveau
4. Unzureichende Qualifizierung der Beschäftigten
Viele Unternehmen unterschätzen, welche Kompetenzen Beschäftigte für den souveränen Umgang mit KI-Systemen benötigen. Erfolgreiche KI-Einführungen gehen immer mit umfassenden Schulungskonzepten einher. Diese müssen drei Ebenen adressieren:
Technische Kompetenzen (Systemverständnis und Bedienung)
Methodische Kompetenzen (Interpretation von KI-Ergebnissen)
Soziale Kompetenzen (Kommunikation mit Kollegen und Kunden)
Mein Praxistipp: Entwickeln Sie ein modulares Qualifizierungskonzept, das verschiedene Zielgruppen und Lernformate berücksichtigt. Der Betriebsrat sollte bei der Konzeption eng eingebunden werden.
5. Fehlende Evaluierung und Nachsteuerung
Ein weiterer Grund für das Scheitern: Viele Projekte enden mit dem Go-live, ohne dass die tatsächlichen Auswirkungen systematisch überprüft werden. KI-Systeme entwickeln sich durch maschinelles Lernen kontinuierlich weiter. Ohne regelmäßige Überprüfung besteht die Gefahr unerwünschter Effekte wie:
Verfestigung von Vorurteilen in den Trainingsdaten
Schleichende Ausweitung der Systemfunktionen
Unbemerkte Performanceprobleme
Vereinbaren Sie von Anfang an konkrete Evaluierungszeitpunkte und -kriterien. Der Betriebsrat sollte in die Auswertung einbezogen werden und Nachsteuerungen mitgestalten können.
6. Unklarer Umgang mit Leistungskontrolle
Der vielleicht kritischste Punkt beim Scheitern von KI-Projekten ist die Frage der Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Die technischen Möglichkeiten moderner KI-Systeme zur Datenerfassung und -auswertung sind enorm.
Interessanterweise bietet KI hier nicht nur Risiken, sondern auch echte Chancen für mehr Fairness:
Versachlichung von Leistungsbewertungen durch objektive Kriterien
Reduzierung des "Nasenfaktors" bei Beförderungsentscheidungen
Bessere Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Bereichen
Früherkennung von Überlastungssituationen
Der Schlüssel liegt in einem Dreiklang aus klaren Prozessen, technischen Schutzmaßnahmen und einer menschlichen Komponente als Korrektiv. Welche Maßnahmen davon auf welcher Ebene eingesetzt werden, ist über eine Einigung mit dem Betriebsrat festzulegen. Dafür bieten sich an:
1. Klare Prozessregelungen
Festlegung erlaubter und unerlaubter Auswertungen
Zwingend zweistufige Entscheidungsprozesse: KI-Empfehlung plus menschliche Endentscheidung unter Einbindung des Betriebsrats
Berücksichtigung individueller Faktoren, die von KI nicht erfasst werden
Definition der Zugriffsberechtigungen
Dokumentation aller Systemzugriffe
2. Technische Absicherung
Deaktivierung reiner Überwachungsmodule auf Systemebene
Nachweisbare Beschränkung der Datenerhebung auf das Notwendige
Regelmäßige Überprüfung der Systemkonfiguration
Technische Implementierung des Vier-Augen-Prinzips
3. Menschliche Rückfallebene
Paritätisch besetzte Clearingstelle für Sonderfälle
Berücksichtigung individueller Umstände, die vom System nicht erfasst werden können
Regelmäßige Überprüfung der KI-Empfehlungen durch erfahrene Führungskräfte und Betriebsrat
Beschwerdemanagement mit persönlicher Anhörung
Möglichkeit zur Revision automatisierter Vorschläge
4. Wirksame Kontrollmechanismen
Regelmäßige Berichte an den Betriebsrat
Prüfrechte für Datenschutzbeauftragte
Sanktionen bei Verstößen
Dokumentation von Abweichungen zwischen KI-Empfehlung und finaler Entscheidung
Fazit: Erfolgsfaktoren für die KI-Einführung
Zu wissen, warum KI-Projekte am Betriebsrat scheitern, ist die eine Sache. Die genannten Stolpersteine lassen sich jedoch durch professionelle Kommunikation und systematische Prozesse weitgehend vermeiden. Die zentralen Erfolgsfaktoren sind:
Frühzeitige und kontinuierliche Einbindung des Betriebsrats
Transparente Dokumentation von KI-Systemen
Risikoorientierte Differenzierung der Mitbestimmung
Umfassende Qualifizierung der Beschäftigten
Regelmäßige Evaluation und Nachsteuerung
Klare Regelungen zur Leistungskontrolle mit menschlicher Komponente
Als Experte für KI-Implementation rate ich dringend dazu, diese Aspekte von Anfang an mitzudenken. Der zusätzliche Aufwand in der Projektplanung zahlt sich durch reibungslosere Einführungen und höhere Akzeptanz mehr als aus.