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Warum KI-Projekte am Betriebsrat scheitern

Aktualisiert: 20. Jan.

... und wie sich das vermeiden lässt

Darstellung eines Betriebsratsgremiums vor einer Präsentation zum Thema KI.
Betriebsrat und KI - Fluch oder Segen?

Als Experte für die Implementation von KI-Systemen sehe ich immer wieder dieselben Muster, an denen vielversprechende KI-Projekte letztendlich scheitern. Die gute Nachricht: Mit der richtigen Herangehensweise lassen sich die meisten Konflikte vermeiden. Dieser Artikel zeigt die häufigsten Stolpersteine und effektive Lösungsstrategien.


Die sechs häufigsten Gründe warum KI-Projekte am Betriebsrat scheitern:


1. Mangelnde Transparenz bei KI-Systemen


Der klassische Auslöser für das Scheitern von KI-Projekten: Der Betriebsrat erhält keine ausreichenden Informationen über die Funktionsweise des Systems. Dabei ist Transparenz nicht nur "nice to have", sondern rechtlich geboten - die DSGVO gibt Beschäftigten das Recht, nicht ausschließlich automatisierten Entscheidungen unterworfen zu werden.


Transparenz bedeutet dabei deutlich mehr als das bloße Bereitstellen technischer Dokumentationen. Erforderlich ist ein mehrstufiger Ansatz:


Standardisierte Systemdokumentation

Erstellen Sie für jedes KI-System einen Steckbrief mit:

  • Konkreten Einsatzzwecken und Zielen

  • Verwendeten Datenquellen und Verarbeitungslogik

  • Möglichen Auswirkungen auf Beschäftigte

  • Maßnahmen zur Qualitätssicherung


Qualifizierung der Betriebsräte

Gerade für nicht IT-affine Betriebsratsmitglieder sind mehrtägige Schulungen unerlässlich, um:

  • Ein fundiertes Verständnis der KI-Funktionsweise zu entwickeln

  • Risiken und Chancen für die Beschäftigten einschätzen zu können

  • Die eigenen Mitbestimmungsrechte effektiv wahrnehmen zu können


Arbeitgeber müssen hier die notwendigen Schulungskosten einplanen. Dies ist keine freiwillige Leistung, sondern durch § 37 Abs. 6 BetrVG gesetzlich vorgeschrieben.


Qualifizierungsangebote der Systemanbieter

KI-Anbieter sind gefordert, neben dem reinen Vertrieb auch:

  • Spezifische Schulungsangebote für Anwender zu entwickeln

  • Formate für Betriebsräte als Interessenvertreter bereitzustellen

  • Eine nachhaltige Qualifizierungsinfrastruktur aufzubauen


2. Zu späte Einbindung der Mitbestimmung


Ein weiterer klassischer Fehler: Der Betriebsrat wird erst informiert, wenn wichtige Systementscheidungen bereits gefallen sind. Das führt fast zwangsläufig zu Konflikten.


Der Betriebsrat hat bei KI-Systemen umfassende Mitbestimmungsrechte - von der Planung über die Einführung bis zum laufenden Betrieb. Diese ergeben sich unter anderem aus:


  • § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (technische Überwachungseinrichtungen)

  • § 94 BetrVG (Personalfragebögen, Beurteilungsgrundsätze)

  • § 95 BetrVG (Auswahlrichtlinien)


Mein Praxistipp: Binden Sie den Betriebsrat bereits in der Konzeptionsphase ein. Ein bewährtes Format sind regelmäßige Jour fixes zwischen IT, HR und Betriebsrat speziell zum Thema KI-Einführung.


3. Endlose Definitionsdebatten statt Risikoanalyse


Ein häufiger Fallstrick sind endlose Debatten darüber, was überhaupt unter "KI" zu verstehen ist. Diese Begriffsdebatten sind meist Stellvertreterdiskussionen: Oft versucht die Arbeitgeberseite durch eine möglichst enge Definition von "KI" die Mitbestimmungspflicht zu umgehen. Umgekehrt tendieren Betriebsräte manchmal dazu, jede Form der Automatisierung unter KI zu subsumieren.


Ein zukunftssicherer Ansatz orientiert sich an der kommenden EU-KI-Verordnung (AI Act) mit ihrer vierstufigen Risikokategorisierung:


1. Unzulässige KI-Systeme

  • Systeme mit inakzeptablem Risiko für Grundrechte

  • Im betrieblichen Kontext z.B. manipulative KI zur Beeinflussung von Mitarbeitern

  • Diese Systeme sind grundsätzlich zu verbieten


2. Hochrisiko-Systeme

  • Erhebliche Risiken für Gesundheit, Sicherheit oder Grundrechte

  • Im Betrieb besonders relevant: KI-Systeme für Personalauswahl, Beförderungen, Leistungsbewertung

  • Erfordern strenge Kontrollen und umfassende Mitbestimmung


3. Systeme mit begrenztem Risiko

  • Z.B. Chatbots, Assistenzsysteme, generative KI

  • Hauptfokus auf Transparenz und Information der Beschäftigten

  • Mitbestimmung vor allem bei Einführung und Rahmengestaltung


4. Systeme mit minimalem Risiko

  • Z.B. KI in Spam-Filtern oder einfachen Automatisierungen

  • Keine spezifischen Regulierungsvorgaben

  • Basisinformation der Mitbestimmungsgremien ausreichend


Diese Kategorisierung bietet zwei wesentliche Vorteile:


  1. Sie schafft Rechtssicherheit für die Zeit nach Inkrafttreten der EU-Verordnung

  2. Sie ermöglicht differenzierte Mitbestimmungsprozesse je nach Risikoniveau


4. Unzureichende Qualifizierung der Beschäftigten


Viele Unternehmen unterschätzen, welche Kompetenzen Beschäftigte für den souveränen Umgang mit KI-Systemen benötigen. Erfolgreiche KI-Einführungen gehen immer mit umfassenden Schulungskonzepten einher. Diese müssen drei Ebenen adressieren:


  • Technische Kompetenzen (Systemverständnis und Bedienung)

  • Methodische Kompetenzen (Interpretation von KI-Ergebnissen)

  • Soziale Kompetenzen (Kommunikation mit Kollegen und Kunden)


Mein Praxistipp: Entwickeln Sie ein modulares Qualifizierungskonzept, das verschiedene Zielgruppen und Lernformate berücksichtigt. Der Betriebsrat sollte bei der Konzeption eng eingebunden werden.


5. Fehlende Evaluierung und Nachsteuerung


Ein weiterer Grund für das Scheitern: Viele Projekte enden mit dem Go-live, ohne dass die tatsächlichen Auswirkungen systematisch überprüft werden. KI-Systeme entwickeln sich durch maschinelles Lernen kontinuierlich weiter. Ohne regelmäßige Überprüfung besteht die Gefahr unerwünschter Effekte wie:


  • Verfestigung von Vorurteilen in den Trainingsdaten

  • Schleichende Ausweitung der Systemfunktionen

  • Unbemerkte Performanceprobleme


Vereinbaren Sie von Anfang an konkrete Evaluierungszeitpunkte und -kriterien. Der Betriebsrat sollte in die Auswertung einbezogen werden und Nachsteuerungen mitgestalten können.


6. Unklarer Umgang mit Leistungskontrolle


Der vielleicht kritischste Punkt beim Scheitern von KI-Projekten ist die Frage der Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Die technischen Möglichkeiten moderner KI-Systeme zur Datenerfassung und -auswertung sind enorm.


Interessanterweise bietet KI hier nicht nur Risiken, sondern auch echte Chancen für mehr Fairness:


  • Versachlichung von Leistungsbewertungen durch objektive Kriterien

  • Reduzierung des "Nasenfaktors" bei Beförderungsentscheidungen

  • Bessere Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Bereichen

  • Früherkennung von Überlastungssituationen


Der Schlüssel liegt in einem Dreiklang aus klaren Prozessen, technischen Schutzmaßnahmen und einer menschlichen Komponente als Korrektiv. Welche Maßnahmen davon auf welcher Ebene eingesetzt werden, ist über eine Einigung mit dem Betriebsrat festzulegen. Dafür bieten sich an:


1. Klare Prozessregelungen

  • Festlegung erlaubter und unerlaubter Auswertungen

  • Zwingend zweistufige Entscheidungsprozesse: KI-Empfehlung plus menschliche Endentscheidung unter Einbindung des Betriebsrats

  • Berücksichtigung individueller Faktoren, die von KI nicht erfasst werden

  • Definition der Zugriffsberechtigungen

  • Dokumentation aller Systemzugriffe


2. Technische Absicherung

  • Deaktivierung reiner Überwachungsmodule auf Systemebene

  • Nachweisbare Beschränkung der Datenerhebung auf das Notwendige

  • Regelmäßige Überprüfung der Systemkonfiguration

  • Technische Implementierung des Vier-Augen-Prinzips


3. Menschliche Rückfallebene

  • Paritätisch besetzte Clearingstelle für Sonderfälle

  • Berücksichtigung individueller Umstände, die vom System nicht erfasst werden können

  • Regelmäßige Überprüfung der KI-Empfehlungen durch erfahrene Führungskräfte und Betriebsrat

  • Beschwerdemanagement mit persönlicher Anhörung

  • Möglichkeit zur Revision automatisierter Vorschläge


4. Wirksame Kontrollmechanismen

  • Regelmäßige Berichte an den Betriebsrat

  • Prüfrechte für Datenschutzbeauftragte

  • Sanktionen bei Verstößen

  • Dokumentation von Abweichungen zwischen KI-Empfehlung und finaler Entscheidung


Fazit: Erfolgsfaktoren für die KI-Einführung


Zu wissen, warum KI-Projekte am Betriebsrat scheitern, ist die eine Sache. Die genannten Stolpersteine lassen sich jedoch durch professionelle Kommunikation und systematische Prozesse weitgehend vermeiden. Die zentralen Erfolgsfaktoren sind:


  1. Frühzeitige und kontinuierliche Einbindung des Betriebsrats

  2. Transparente Dokumentation von KI-Systemen

  3. Risikoorientierte Differenzierung der Mitbestimmung

  4. Umfassende Qualifizierung der Beschäftigten

  5. Regelmäßige Evaluation und Nachsteuerung

  6. Klare Regelungen zur Leistungskontrolle mit menschlicher Komponente


Als Experte für KI-Implementation rate ich dringend dazu, diese Aspekte von Anfang an mitzudenken. Der zusätzliche Aufwand in der Projektplanung zahlt sich durch reibungslosere Einführungen und höhere Akzeptanz mehr als aus.

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